Am Wochenende war „Schraubertag“, d.h. wir hatten uns an unseren Oldtimern wieder ölige Hände geholt. Mit dabei war ein Freund meines Sohnes und beim Schrauben kommt man auch ins Gespräch. So erzählte er, dass im Anschluss an das kommende Wintersemester - er studiert BWL - ein Praktikum anstünde und er beabsichtige dieses in einem produzierenden Unternehmen zu absolvieren. Vorzugweise im Umfeld der Fahrzeugherstellung. Und da mein Sohn im erzählt hat, dass ich ebenfalls im produzierenden Umfeld tätig wäre, ich viel unterwegs sei, Gespräche mit Menschen führte, die in diesen Unternehmen arbeiteten, frug er, was denn das Thema und der Inhalt dieser Gespräche sei?
Ich überlegte und antwortete: „Eine interessante Frage – und zwar aus dem Grund, dass die Bandbreite und Interpretationen so vielfältig sind. Aber lass es mich so versuchen…“
Das zentrale Thema ist oft die Analyse der gegenwärtigen Herstellprozesse der jeweiligen Unternehmen, deren Organisation, Planung, Ausführung und Steuerung aus heutiger Sicht der technologischen Machbarkeit. Ziel dabei ist es die Produktionsmanagementprozesse zu verstehen und gemeinsam mit allen Beteiligten Ansätze zu finden, diese zu verbessern, genauer einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess zu entwickeln. Hierzu ist heute die Verwendung von geeigneten Softwarewerkzeugen unbedingt erforderlich.
Da kommt dann auch die vieler Ortens propagierte „Digitalisierung“ ins Spiel - so der Student.
Ich erwiderte: ja, das sei der aktuell verwendete Begriff, unter dem altbekannte und seit langem praktizierte Methoden, um ein „Management von Herstellprozessen“ mittels geeigneter rechner-/softwaregestützter Lösungen zu ermöglichen. Im Mittelpunkt steht dabei immer die Minimierung der Kosten des Herstellprozesses. Und das beinhaltet eine optimale Behandlung von Abweichungen und Störungen.
Ich schlug vor, die Grundlagen dieser Lösungsansätze an einem Beispiel zu erläutern und zu betrachten, wie die historische Entwicklung einer „rechnerintegrierten Produktion“ erfolgte – bis zu den heutigen Begriffen wie „MES“, „MES/MOM“, „Digitalisierung“, „Digitale Fabrik“ oder gar „KI“.
Dazu sollte er sich doch mal das Ersatzteil anschauen, das wir gerade einzubauen versuchten. Eine Servopumpe, die das Auto benötigt, um die Servolenkung und den Bremskraftverstärker mit unter Druck stehendem Hydrauliköl versorgen zu können. Wir würden zwar noch damit kämpfen, die Riemenscheibe von der Achse der alten Pumpe abzuziehen, aber der passende Abzieher lag schon bereit.
Bei der neuen Servopumpe handelte es sich tatsächlich um ein Neuteil, und nicht um ein überholtes Austauschteil. Diese Pumpe ist aus mehreren Einzelteilen zusammengesetzt worden, wobei der Hersteller die Einzelteile entweder selbst hergestellt oder zugekauft habe, eben bei anderen Herstellern oder „Zulieferern“. So eine Servopumpe wurde nicht nur für uns, sondern gleiche Exemplare in einer größeren Anzahl hergestellt, wohl viele tausend und anschließend in einem Lager aufbewahrt worden. Von dort ging es an Händler wie dem, bei dem wir die Pumpe bestellt hatten.
Der Hersteller muss die Herstellung dieses und vieler anderer Teile für eine Vielzahl von Fahrzeugtypen organisieren. Das bedeutet zum einen, das er das benötigte Material zur Herstellung der Einzelteile oder die von anderen Herstellern – Zulieferern – zugekauften Teile rechtzeitig zur Verfügung haben, um die Herstellung der Servopumpen zu beginnen. Jedoch nicht nur dass, auch müssen Anlagen und Maschinen sowie die Menschen, die Pumpen konstruieren, die Herstellung organisieren und letztendlich zu Pumpen zusammensetzten, zur Verfügung stehen. Dann müssen die Servopumpen getestet werden, d.h. der Hersteller will seine Kunden zufrieden stellen und gute Qualität liefern – die alte Pumpe hat immerhin rund 50 Jahre gehalten. Zuletzt müsste die Servopumpen gekennzeichnet, verpackt, ins Lager verbracht und bei Bedarf wieder aus dem Lager geholt werden. Es wäre also auch gut zu wissen, wo sie eingelagert wird bzw. wie viele sich davon im Lager befänden.
D.h. die gesamte Herstellung der Servopumpen muss geplant, organisiert, überwacht und analysiert werden, um Ansätze und Vorgehensweisen zur Verbesserung des Herstellprozesses zu ermitteln. Das wären die 4 Eckpfeiler eines „Produktionsmanagements“ – und nicht nur gültig für die Herstellung von Pumpen, sondern grundsätzlich für alles, was hergestellt oder produziert werden würde.
Und dass die Herangehensweise der Umsetzung dieses Produktionsmanagements in den fünfzig Jahren, von der Herstellung der mittlerweile ausgebauten Servopumpe bis zur Herstellung der nun einzubauenden gewandelt haben sollte, liegt wohl auf der Hand. Möglicherweise würde die neue Pumpe aufgrund der technischen Optimierung der Herstellung keine 50 Jahre halten, doch ist ein anderes Thema.
Mein Gesprächspartner stellte nun fest: ihm ist diese Thematiken nicht gänzlich fremd. Ihn interessierte, welche Sichtweise ich auf die Begrifflichkeiten MES,MES/MOM, Digitalisierung, Digitale Fabrik bzw. Smart Factory hätte – gerade auch vor dem Hintergrund meiner Erfahrungen.
Richtig, Produktionsmanagement ist immer im Wandel, insbesondere unter der Berücksichtigung der organisatorischen und technischen Möglichkeiten. Eins ist sicher, ein Produktionsmanagement - wie auch immer umgesetzt - hat es gegeben, seitdem Produkte hergestellt wurden – als wichtigstes Element wirke die Erfahrung der Beteiligten. Diese gelte es zu nutzen und zu unterstützen. Da reicht eine einfaches OEE nicht aus. Die grundsätzlichen Herangehensweisen haben sich nicht geändert, jedoch die Art und Weise der Organisation und Ausführung haben wesentliche Änderungen erfahren.
Zu Zeiten der Herstellung der originalen Servopumpe wurde zum größten Teil auf Papier dokumentiert und mündlich kommuniziert - Konstruktionszeichnungen, Arbeitsanweisung und Vorgaben wurden von Hand erstellt und durch die Produktion getragen. Ebenso erfolgte die Fertigungsdokumentation auf Papier und bei nachträglicher aufwändiger Aufbereitung- und Auswertung. Es hat funktioniert. In großen Unternehmen war bisweilen auch ein Großrechner vorhanden, eine IBM oder UNIVAC und Auftragsbegleitinformationen wurden auf Lochkarten gestanzt und dienten zur Organisation des Produktionsmanagements, der Datenerfassung und Auswertung. Konzeptionell war man durchaus bereits weit fortgeschritten. Man befasste sich mit der Theorie der Arbeitsorganisation und im Bereich der Planung war Netzplantechnik der Standard. Meine Bibel in den 80er war das Buch „Wirtschaftsinformatik“ von August-Wilhelm Scheer.
Bereits in den 70er Jahren hat der Computer verstärkt Einzug in die Organisation und Ausführung der Produktion gefunden. In der Arbeitsvorbereitung diente der Magnetkartencomputer der Erstellung und des Drucks von Arbeitsplänen, REFA begann ein Thema zu werden. Mit der Verfügbarkeit leistungsfähiger, kleiner Systeme zu Beginn der 80er Jahre, der mittleren Datentechnik wie Systemen von Nixdorf und an 1988 der IBM AS 400 und schlussendlich mit dem Personal Computer begann die erste Phase der „Digitalisierung“ des Produktionsmanagements. Man befasste sich mit der dezentralen, Computer basierten Integration der Organisation und des Ausführungsmanagements der Produktion.
Erste Computernetzwerke entstanden und der der Begriff „CIM – Computer integrated Manufacturing“ bzw. die CXX – Paradigmen wurde geboren. Der im deutschsprachigen Raum verwendete Begriff lautete „PPS“, d.h. Produktionsplanung und Steuerung. Der Kontext wäre aus heutiger Sicht sehr „ERP“ lastig gewesen und befasste sich mit der Thematik eher aus der Perspektive der Bestandsführung und der Materiallogistik. Eine Anbindung an die Anlagen und Maschinen zur Erfassung von Zustands- und Prozessdaten war aufwändig und nur projektspezifisch möglich gewesen, da die Anlagen- und Maschinensteuerungen noch aus Relais-, Schütz- oder Elektroniksteuerungen bestanden.
Nichtsdestotrotz waren bereits hier Themen wie BDE, MDE, PZE. PLS, CAQ, SPC, Frühwarnung, Tracking & Traceing, WIP, Visualisierung, Instandhaltung, Verwaltung von Rezepturen, Prüfplänen und fertigungsnahen Dokumenten eine Aufgabenstellung, die rechnergestützt zu lösen waren. Anzumerken sei hier, dass bereits seit 1968 Bestrebungen bestanden „frei programmierbare“ Steuerungen zu entwickeln. Vorreiter war in diesem Zusammenhang General Motors.
In 1992 wurde mit dem IEC 61331 der Standard für eine herstellerunabhängige und einheitliche Sprache für frei programmierbare Maschinensteuerungen geschaffen und in Folge der Weg für eine normierte Anbindung des rechnergestützten Produktionsmanagements an die Anlage und Maschine geebnet. In Verbindung mit nunmehr leistungsfähigen Computer Netzwerktechnologien, SQL-Datenbanken und Softwaretechnologien bestand schon zu diesem Zeitpunkt die Möglichkeit eines durchgängigen, alle Unternehmensbereiche umfassenden rechnergestützten Produktionsmanagements – zumindest theoretisch.
In den 90er Jahren wurde letztendlich der Begriff „MES“ – „Manufacturing Execution System“ geboren – in das Deutsche übersetzbar als „Produktionsleitsystem“. Dessen Fokus lag zunächst in der Nähe zum shop-floor – anlagen- und maschinennah, eher SCADA und HMI mit partiellen Managementfunktionen auf Auftrags- und Materialebene. Eine Konsolidierung der unter „MES“ gefassten Funktionen erfolgte über nationale Standardisierungs- und Normungsbestrebungen in der VDI 5600 Norm, international in der eher prozessorientierten ISA 88 und der funktionalen ISA 95 Norm. Das Bedeutsame an dieses Normen sei, das sie quasi ein Glossar geschaffen hätten – die Grundlage für eine „gemeinsame“ Sprache und Verständnis der für alle am Herstellprozess beteiligten.
Hiermit wäre endgültig das Fundament für ein rechnerintegriertes Produktionsmanagement geschaffen worden. Heute übliche Begrifflichkeiten wie „Digitalisierung“, „Digitale Fabrik“, „Digitales Betriebsmanagement“, „KI (gibt es schon seit den 80ern)“ sind nichts Weiteres als vom Marketing getriebene Begriffe, um einen neuen Hype zu entfachen, um altbekannte Ansätze und Sachverhalte neu zu verpacken.
Mit einer Ausnahme!
„Industrie 4.0“ umfasst eine ganzheitliche Betrachtung – und das gefiele mir persönlich – die Aspekte eines Produktionsmanagements unter den Gesichtspunkten einer Referenzarchitektur/Standards/Normung, Forschung und Innovation, der Sicherheit vernetzter Systeme, der Betrachtung rechtlicher Rahmenbedingungen. Hinzu käme der aus meiner Sicht besonders wichtige Aspekt der Schaffung und Entwicklung der Mitarbeiterkompetenz durch Gestaltungsmodelle der „Arbeit“ sowie der „Aus- und Weiterbildung“. Etwas, das sich im Kontext der Begrifflichkeiten von „Digitalisierung“ i.A. nicht wiederfände. Und – Industrie 4.0 – erweiterte die Aspekte eines Produktionsmanagements mit der Zielsetzung eines umfassenden Betriebsmanagements zur Organisation des optimalen Wertschöpfungsflusses.
Viele herstellende Unternehmen hätten in der Vergangenheit bereits mehrfach Versuche unternommen ihr Produktionsmanagement und ebenso ihre Produktionsprozesse über Softwarelösungen zu unterstützen und zu optimieren. Die informationstechnischen Grundlagen, auch der heute stark propagierten „künstlichen Intelligenz“ seien bereits in den70er Jahren geschaffen worden. Eine Vielzahl von Softwareunternehmen, von Einzelkämpfern bis hin zu IT-Konzernen, jedoch ebenso eigene Softwareabteilungen oder auch Beteiligte des Produktionsprozesses hätten (Teil-)Lösungen zur Unterstützung des Produktionsmanagements geschaffen. So wären Teilprozesse unterstützt bzw. Insellösungen eingeführt worden, die z.T. auch noch heute weiterbestehen würden.
Beispielsweise sei ein Batchsystem zur Rezeptur gesteuerten Ausführungssteuerung der Primärproduktion u.U. eingeführt worden, z.T. in Verbindung mit Programmcode in den Steuerungen um die Abhängigkeit vom Softwareanbieter zu gewährleisten, jedoch werden Prozess- und Zustandsdaten in der diskreten Sekundärproduktion nicht erfasst. Die Planung erfolgte in Excel, Auftragspapiere würden in Word erstellt und das Anlagenlogbuch in einem selbstgeschriebenen Access-Progrämmchen geführt, der Instandhalter arbeitete auf Papier und Energiemanager läse seine Energiezähler aus, notierte die Verbräuche auf Papier und tippte die Daten in Excel ein. Am schönsten seien die rückwirkend erstellten OEE-Auswertungen in Excel!
"Wie löst man heute dieses Dilemma?"
So die Frage des Studenten. Die Standardisierungs- und Normierungsbestrebungen der VDI 5600, der ISA 88 und 95 schufen die Grundlage für die heutige verfügbaren Softwaretechnologien, um geeignete Softwarelösungen zu schaffen – vom übergeordnetem ERP-System bis zur Einzelanlage/-steuereinheit und über alle Bereiche eines herstellenden Unternehmens. Ebenso folgert daraus das Wissen um Konzepte und Vorgehensmodelle, um Software zur kontinuierlichen Verbesserung des Produktionsmanagements einzusetzen.
Für mich - und aus meiner Erfahrung besonders wichtig - unter der Einbeziehung der Vorstellungen, Erwartungen und Fähigkeiten aller am Herstellprozess beteiligten. Insbesondere davon wäre der Erfolg der Einführung eines Computer basierten Produktionsmanagementsystem abhängig! Und zuletzt möchte ich hier noch die zentrale Definition von MES der MESA, die Organisationen, die sich für die ISA88 und ISA95 Normen verantwortlich zeichnet, zitieren:
„Manufacturing Execution Systems (MES) liefern Informationen, die die Optimierung der Produktionsaktivitäten vom Auftragsstart bis zur fertigen Ware ermöglichen. Unter Verwendung aktueller und genauer Daten steuert, initiiert, reagiert und berichtet MES über die Aktivitäten im Werk, sobald sie auftreten. Die daraus resultierende schnelle Reaktion auf sich ändernde Bedingungen, gepaart mit der Konzentration auf die Reduzierung nicht wertschöpfender Aktivitäten, führt zu effektiven Anlagenabläufen und Prozessen. MES verbessert die Rendite des Betriebsvermögens sowie die Liefertreue, den Lagerumschlag, die Bruttomarge und die Cashflow-Leistung. MES liefert unternehmenskritische Informationen über Produktionsaktivitäten im gesamten Unternehmen und in der Lieferkette über bidirektionale Kommunikation.“
Ihm sein nun sehr klar geworden, zum einen vor welchen Herausforderungen Unternehmen heute stünden, jedoch welche Möglichkeiten ihnen heute zur Verfügung stünden – und dieser Ausblick im Zusammenhang eine zukünftigen beruflichen Tätigkeit – würde ihm „Spaß“ machen.
Sie haben auch Fragen rund um Aufgabenstellung der Implementation von MES/MOM Lösungen, der Einführung eines digitalen Fabrikkonzepts oder im Kontext einer Digitalisierung zu Vorgehensmodellen in der Produktion oder geeigneten Technologien? Dann lassen Sie uns darüber sprechen und Antworten finden. Und verpassen Sie nicht mein Webinar am 18. August um 10:00 Uhr!