In einen Newsletter des Control Engineering Magazins wurde ich bei der Überschrift eines Artikels etwas stuzig: „MES or batch: What is the best answer?“ Der Autor beginnt mit der Feststellung, dass in vielen Unternehmen entweder ein Manufacturing Execution System (MES) oder ein Batch Management System im Einsatz ist… oder sogar eine Kombination aus beidem. Und er stellt die Frage: reicht in vielen Fällen nicht „einfach“ ein Batch System? Eine interessante Frage wie ich meine. Und da bzw. obwohl der Artikel nun auch schon in die Jahre gekommen ist, wollte ich diese Frage jemandem stellen, der dazu eine kompetente Auskunft geben kann.
Also habe ich 2 Herren gefragt, die über die Jahre eine große Leidenschaft entwickelt haben dafür, Lösungen in den Bereichen Batch und MES für Anwender zu entwickeln. Gemeinsam mit unseren Systemintegratoren verfolgen Sie das Ziel, die individuellen Anforderungen anzugehen und so die Produktionen in Richtung der gesetzten Anforderungen zu optimieren.
René Ries, Gründer und Geschäftsführer des langjährigen AVEVA Systemintegrators ZewaTec, ein Batch-Enthusiast par Excellence und Alexander Mattfeld, Senior Manager Solution Architect der Factory Software GmbH. Ihnen habe ich die Frage gestellt: „Ist MES das Gleiche wie Batch und ist eins besser als das andere?“
René Ries: Nein und Ja
(Man muss dazu wissen, Herr Ries kommt aus dem hohen Norden Deutschlands. Ich habe ihn dann gebeten diese Antwort etwas zu spezifizieren.)
René Ries: Gucken wir uns erstmal die Begriffsbestimmung an. Ein Batch ist das Ergebnis eines einmaligen Ablaufs einer Rezeptur, das hat mit MES nichts zu tun. MES, also Manufacturing Execution System, ist ein System. Ein Batch ist kein System, ein Batch ist das Ergebnis einer Abarbeitung. Um das halbwegs zu vergleichen, müsste man von Rezepturmanagementsystem sprechen.
Alexander Mattfeld: Was genau meinen wir eigentlich, wenn wir von MES sprechen? Da stellt sich jeder, den man fragt, etwas anderes drunter vor. Geht es um MES nach der ISA 95 (unten links), diskutieren wir MES nach der Definition der MESA (unten rechts), manch einer übersetzt MES mit Microsoft Excel Spreadsheet und andere wieder mit Produktionsplanung.
Alexander Mattfeld: Wenn man den Begriff ins Deutsche übersetzt und von Fertigungsmanagementsystem spricht, dann trifft es schon eher den Punkt. Management heisst in dem Fall nicht nur „Ausführen“, sondern auch alles andere: Beobachten, Aufzeichnen, Kontrollieren – auch mal Ausführen – aber eben nicht nur.
René Ries: Und das ist eben der große Unterschied zu einem Batch-System
Alexander Mattfeld: Genau. Da hat man keine große Wahl, da muss man sich ranklemmen.
René Ries: Bei Batch steuert man einen Bediener ganz klar durch eine Vorgabe einer Rezeptur. Ein MES arbeitet keine Rezeptur ab. Es gibt zwar Reihenfolgen, aber es hat nichts mit dem Führen einer Person zu tun. Es soll etwas passieren und es werden im Hintergrund Daten aufgezeichnet. Deswegen glaube ich, dass Batch einen höheren steuernden Anteil hat. Und komischerwiese heisst das Rezepturmanagementsystem.
Alexander Mattfeld: Lasst und doch auch mal die Automatisierungspyramide ansehen. Die hat vor dem ERP ein MES-Layer. Und zu diesem MES-Layer gehört alles, worüber wir hier gerade reden. Und da gehört sowohl Batch, aber auch Betriebsdatenerfassung dazu. Vielleicht ist das eine passendere Grundlage.
René Ries: Können wir uns auf irgendwas einigen, bevor ich in Rente bin?(In der Runde führte das zu allgemeinen Gelächter. Aber nun mal wieder ernsthaft, meine Herren! Wir bleiben also bei der klassischen Automatisierungspyramide.)
René Ries: Der tatsächliche riesige Unterschied zwischen einem MES und Batch ist folgender: Bei Batch weiss fast jeder, wovon er spricht. Bei MES weiss es keiner. Ein Batch-System ist besser beschrieben und es orientiert sich an einem Prozessmodell. Man hat keine Software im Kopf, wenn man an MES denkt. Das kann alles sein und nichts. Da sind Daten hinterlegt, mit der man die Produktion managen kann, während ein Batch-System die Aufgabe hat, Abfolgen zu steuern.
Und da musste ich mal Herrn Ries unterstellen: „Man könnte fast meinen, Du magst MES nicht?“
René Ries: Doch, ich mag MES. Das Stück Software, mit dem es beschrieben wird, find ich ab und an lausig, aber MES kann ja auch ein Teil des ERP Layer sein.
Alexander Mattfeld: Die klassischen Anforderungen, die den Einsatz eines MES rechtfertigen sind z.B. (aber nicht begrenzt auf)
Und dann sind wir bei der Definition von MES durch die MESA. Wenn eine Software einen oder mehrere dieser Bereiche abdeckt, dann ist das wohl eine MES-Software. Und das ist irgendwo auch das Problem von MES Software, so richtig greifbar ist es nicht.
René Ries: Das ist der Punkt. Wer MES mit Batch vergleicht, der vergleicht Äpfel mit Birnen, der vergleicht einen Teil dessen, was zu MES gehören könnte mit Überbegriff MES. Und da komme ich zurück zum Ausgangspunkt, wie kann dann ein Experte wie der Autor des oben zitierten Artikels die Frage stellen, was für ein Unterschied besteht zwischen MES und Batch, ist eins besser als das andere.
René Ries: Ich glaube, da hatte MES eine andere Bedeutung im Hinblick auf die Ausführung. Da war Batch nur einsetzbar in der Prozessfertigung, MES war anwendbar im Rahmen der diskreten Fertigung. Das ist heute nicht mehr so. Im Prinzip kann ich mit einem Batch auch ein Flugzeug bauen. Da komme ich nochmal auf das zurück, was ich eingangs gesagt habe: ein Batch ist das Ergebnis einer Abarbeitung einer Rezeptur.
In einem Artikel von LNS Research wird die diskrete Fertigung beschrieben als Ablauf von Schritten. In Batch-Industrien - Lebensmittel- und Getränkeindustrie, Konsumgüterindustrie, Pharmaindustrie und ähnliche – wird ein Teil des Herstellungsprozesses in Batch-Reaktoren durchgeführt. Diese Reaktoren produzieren jeweils eine Charge eines Zwischenprodukts. Andere Teile des Prozesses sind wahrscheinlich diskreter und müssen mit den Batch-Prozessen integriert werden, um das verpackte Endprodukt zu liefern.
René Ries: Das ist so. Es ist nicht immer sinnvoll, ein Batch-System für die diskrete Fertigung einzusetzen, aber im Prinzip hat der Artikel recht.
Ähnlich wie in oben zitiertem Artikel kamen im Gespräch auch die ISA Zertifizierungen für Batch (ISA 88) und MES / MOM (ISA 95) auf den Tisch. Die Entscheidung, welche Teile des Prozesses besser von einem ISA 88 Batch Execution System (BES) und welche Teile besser von einem ISA 95 Manufacturing Operations Management (MOM) System oder MES bedient werden, kann eine strittige Debatte sein. Wurde es auch.
René Ries: Standardisierung ist dann wichtig, wenn man sicherstellen will, dass man die gleichen Sachen vergleicht und man von den gleichen Sachen spricht. Z.B. in einer ISA 88 ist klar definiert, was eine Prozedur ist, eine Unit oder eine Operation. Man weiss allgemein ja auch was gemeint ist, wenn jemand von Din A 4 spricht.
Alexander Mattfeld: Und die ISA 95 ist davon abgeleitet.
René Ries: Ein Standard ist dafür da, dass wenn man miteinander spricht, auch vom gleichen spricht. Es sind aber auch keine verpflichtenden Standards. Es ist eher ein Leitfaden. Bei MES weiss man, was man sich vorstellt, aber nicht, was es ist.
Wieder eine gute Steilvorlage von Herrn Ries. Wie geht man am besten beim Kundengespräch vor, um herauszufinden, was DER sich unter einem MES vorstellt? Herr Ries warf in diesem Zusammenhang das Stichwort „Herausfindeworkshop“ in den Ring. Er geht dabei von abteilung zu Abteilung und fragt: „Was ist in der Software, die sie aktuell nutzen suboptimal?“ und „Welche Funktionen wünschen Sie sich?“
René Ries: Und dann stellt man fest: auch große Firmen können nicht sagen, welches Vorprodukt in das finale Produkt eingeflossen ist. Da können sowohl Batch als auch MES Software helfen. Zum einen geht es darum, wie bekomme ich die Daten ins System – das ist eher der technische Teil. Aber die Frage ist eigentlich: habe ich ein System, was die Daten verwaltet? Da sagen viele: das mache ich in SAP. Aber das ist nicht die Aufgabe von SAP.
Alexander Mattfeld: Es hat hat beides Vor- und Nachteile. Es ist eine Frage der Sicherheit, die vom Kunden gefordert wird. Was ist der Anspruch an die Steuerung, an die Daten, an die Mitarbeiterführung.
Und da es noch nicht genug brisanten Gesprächsstoff gab, wendeten wir uns auch noch dem Thema Rezepturmanagement vs. Batch zu. Da habe ich nochmal nachgefragt.
Alexander Mattfeld: Das eine ist ein ausführendes Element, das andere ist ein Element, um Daten runterzuladen. Batch beinhaltet Rezepturmanagement und setzt darüber noch Funktionalitäten, wie das Auftragsmanagement, Materialhandling etc.
René Ries: Batch ist das Ergebnis eines Rezeptes. Wie beim Kuchen backen. Der Kuchenteig ist das Batch. Ein Rezept ist nach ISA 88 definiert. Wann wird was gemacht, welches Equipment wird gebraucht und welche Zutaten.
Worauf wir uns am Schluss einigen konnten: MES ist als Obergriff zu sehen dessen, wo Batch als Teil zugehört. Batch erfüllt dabei einige der Aufgaben, die unter dem Sammelbegriff MES verstanden werden. Und eben weil es ein Sammelbegriff ist, gibt es verschiedene Definitionen bzw. Interpretationen.
Wie stehen Sie dazu? Sprechen Sie uns an.
Sie wollen sich noch weiter über Batch, Rezepturmanagement und MES informieren? Hier habe ich noch ein paar Materialien für Sie zusammengestellt.
Mehr von René Ries zum Thema Batch Management in seinem Webinar, das OnDemand zur Verfügung steht. In diesem OnDemand Webinar stellt er unterschiedliche Lösungsszenarien vor, die sich mit AVEVA Software in realisieren lassen. Wie wir im Gespräch gelernt haben kann der Ansatz der chargen- bzw. batchorientierten Produktion aber durchaus auch in der diskreten Fertigung zum Einsatz kommen. Auch diese Option wird vorgestellt.
Sie interessieren sich für das Thema Rezepturmanagement im industriellen Umfeld? Wo es um mehr geht als das einfache Abarbeiten von Rezepturen: schnelle Validierung, die sichere Verwaltung mehrerer Produktvarianten und Agilität bei Produktwechseln sowie Konsistenz der Produkt- und Prozessqualität zur Maximierung von Durchsatz und Anlagennutzung.